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Mittelalter zum Fühlen, Schmecken, Hören, Sehen und Staunen rund um den Marktplatz

Wohlig schön und doch erfreulich wohlfeil!

Rinteln (ur). "Das ist ja fast ein kleines Wunder, dass es so eine Veranstaltung ohne Eintritt und kommerzielle Verkaufsstände gibt", freut sich die junge Frau aus Hildesheim, die sich vom "Historischen Markt" in die Weserstadt locken ließ und trotz des gemischten Wetters viel Spaß an den Darbietungen und dem bunten Markttreiben insgesamt hatte.

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Wie es sichübrigens an beiden Tagen etliche hundert Menschen nicht verdrießen ließen, zwischen den Buden und Zelten einherzuwandeln, Schwertkämpfen zuzuschauen oder auch selbst mit Pfeil und Bogen aktiv zu werden. Selbst "in der größten Postkutsche Deutschlands" konnte man eine Runde durch die Altstadt drehen, wie Nachtwächter Alfred Schneider nicht müde wurde, das Volk zu animieren.. Da mochten dann auch die reizend kostümierten Damen und Herren aus der Gilde der historischen Stadtführer sich nicht zurückhalten. Imübrigen machte sich der Nachtwächter auch in der Rolle des ordnungstiftenden Marktvogt recht gut. Als etwa ein dahergelaufener Ritter eine vornehme Kundin der Wollhändlerin mit seinen plumpen Frühlingsgefühlen belästigte, zückte er nach kurzer und fruchtloser Verwarnung das Schwert und wies den Unhold in die Schranken - und als der dreiste Kerl sich damit noch nicht abfinden mochte, griff auch die junge Markthändlerin zum Schwert und demonstrierte, dass auch Frauen des späten Mittelalters nicht nur mit der Bratpfanne zulangen konnten. Derweil hielt der sehr authentisch auftretende Dorftrottel Erik aus dem Kleinenbremer Improvisationstheater "Verschwägert" Maulaffen feil oder versuchte sich in der Kunst des Zigarettenschnorrens. Am Bogenschießstand warfen sich zwei Heißsporne Vielweiberei, Betrug und Schlimmeres vor und Bruder Tuck und seine Gesellen ließen in der Taverne Met und Mönchsbräu für jeweils einen schlichten Silberling in dieKrüge spritzen. Dann wieder stießen mittelalterliche Musikanten ins Horn und verführten ihr Publikum mit immer schnellerem Trommeln zu öffentlichen Veitstänzen, während Handwerker wie Schmiede, Schuhmacher und andere ihre Produkte fertigten und zu teilweise überraschend günstigen Preisen anboten. Eine rothaarige Kräuterhexe verstand sich offenbar auch auf Liebeszauber und Prophezeiung, hatte Amulette für dieses und gegen jenes an ihrem Stand und wer sich auf ein Spielchen einlassen wollte, fand da und dort bei Karten- und Würfelspiel, bei Schneckenrennen und anderer Possenreißerei seine Chance. Aus Hartmut Hakenbecks Holzbackofen rutschte ein Brot nach dem anderen heraus und wurde ebenso wie die Bratwurst von Bauer Giese oder der Butterkuchen "gleich auffe Faust" verzehrt. Wer sich die Atmosphäre des Marktes mit nach Hause nehmen wollte - bitte sehr: Selbst älteste Musik war auf neuzeitlichste Tonträger gebannt, man konnte sich porträtieren lassen oder sich über die Preise auf dem Markt für Bauernkittel, Rüstungen und Säbel informieren. Interessante Impressionen vermittelten auch die neoromantischen Mädel und Burschen von den Lippischen Wandervögeln, die in der Tradition der freiheitlichen Jugendbewegung stehen: Mit der Laute zogen sie volksliedsingend über Kirch- und Marktplatz, sammelten sich am Lagerfeuer, wo sogar ein Kanu schon auf sommerliche Fahrten verwies und die Älteren mit ihren Schülermützen sahen so aus, als ob sie sich aus der Komparserie der ursprünglichen Feuerzangenbowlen-Verfilmung aus dem damaligen Babelsberg bis in unsere Zeit nach Rinteln gerettet hätten. Übrigens nächtigten Wandervögel, Ritter und Vasallen, edle Frauen, Marktweiber, Musikanten und sonstiges Volk ausgesprochen zünftig in Jurten und Kothen auf dem Platz, gewärmt von Glühwein, Begeisterung und Lagerfeuer. Apropos Feuer - ein sich zunächst etwas verhalten anlassendes Feuerritual in der Weserstraße entwickelte sich im Lauf der Dämmerung doch noch zum ekstatischen Feuerzauber und als schließlich Ralf Zymon als Turmbläser mit Dudelsack von Sankt Nikolai zur Nachtruhe rief, zerstreute sich zwar das Volk auf dem Marktplatz, aber in den Zelten und manch angrenzenden Kneipen wurde noch ein langes Weilchen weiter gute wilde alte Zeit gespielt. Ob es mit Hilfe der enthusiastischen Teilnehmer aus Historiengruppen, Theatertrupps und Wandervogel und unter der munteren Patronage von Nachtwächter samt Ehefrau von der Handelsstation gelingen kann, den nichtkommerziellen Zauber dieses ersten Versuchs im kommenden Jahr zu wiederholen? Dieser hier eingeschlagene Weg jedenfalls dürfte sich als bodenständige Alternative zum Mittelalter-Rummel andernorts empfehlen.

2 Bilder
Da begreift man schnell: Bogenschießen ist hohe Kunst.



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