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Mobile Senioren: Nicht ohne mein Auto

Senioren am Steuer – das Thema sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Gerade erst ist beschlossen worden, dass der Führerschein ab kommendem Jahr nur noch 15 Jahre gültig ist und danach verlängert werden muss. Nun ist die Frage, ob dies an einen Gesundheits-TÜV gekoppelt wird. Vor allem Senioren fürchten, den Tests nicht gewachsen zu sein und somit ihre Mobilität aufgeben zu müssen. Verkehrspsychologen und der ADAC betonen, dass es Möglichkeiten gibt, den Führerschein auch im Alter zu behalten.

Autor:

Jennifer Minke-Beil
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Senioren am Steuer – das Thema sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Gerade erst ist beschlossen worden, dass der Führerschein ab kommendem Jahr nur noch 15 Jahre gültig ist und danach verlängert werden muss. Nun ist die Frage, ob dies an einen Gesundheits-TÜV gekoppelt wird. Vor allem Senioren fürchten, den Tests nicht gewachsen zu sein und somit ihre Mobilität aufgeben zu müssen. Verkehrspsychologen und der ADAC betonen, dass es Möglichkeiten gibt, den Führerschein auch im Alter zu behalten.

Wilfried Voss aus Ohr bei Emmerthal ist 82 Jahre alt und fährt noch viel mit dem Auto. Er hat in seinem Leben – auch wegen des Berufs – schon viele Kilometer zurückgelegt. Rein streckenmäßig hat er schon unzählige Male die Erde umrundet. „Ich bin beim Autofahren geduldiger und gelassener geworden und lass auch gerne mal jemanden vorbei, der es eilig hat“, sagt Voss. Trotz seiner großen Routine weiß er, dass immer ein Unfall oder etwas anderes Unvorhergesehenes geschehen kann. „Natürlich hänge ich an meinem Führerschein.“ Schließlich gebe es in seinem kleinen Wohnort mittlerweile kein einziges Geschäft mehr. Somit müsse er mit seiner Frau in Hameln oder Emmerthal einkaufen. Viele seiner Freunde und ehemaligen Schulkameraden mussten ihren Führerschein bereits abgeben. Über das Thema wird bei den regelmäßigen Treffen viel gesprochen, „Wenn ich merke, dass bei mir Defizite auftreten, werde ich das untersuchen lassen. Alles andere wäre doch verantwortungslos.“

Möglichkeiten dazu gibt es mittlerweile einige. Sowohl Fahrschulen bieten Fahrtests an, ebenso der ADAC. Unter der Anleitung von erfahrenen Trainern lernen Senioren das Verhalten und die Grenzen des Fahrzeugs in verschiedenen Situationen kennen. Außerdem werden Fahrtechniken geübt, mit denen sie Gefahrensituationen besser bewältigen, um im Ernstfall richtig zu reagieren. Im Training gehen wir auf den richtigen Umgang mit neuer Fahrzeugtechnik ein. Die praktischen Kurse dauern acht Stunden und kosten rund 100 Euro. Theoretischer Unterricht ist kostenlos.

Werde dann ein Defizit festgestellt, heißt das noch nicht, dass der Führerschein weg muss. Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss, der unter anderem in Hannover eine Praxis hat, ist der Ansicht, dass die Kontrollen weiterhin auf freiwilliger Basis bestehen bleiben sollen. Er berichtet, dass viele Senioren in seine Praxis kommen, denen durch einfache Maßnahmen geholfen werden können. „Es ist eigentlich kein großes Problem, geeignete Auflagen durchzusetzen.“ In einigen Fällen müsse sogar lediglich eine Gleitsichtbrille besser angepasst werden. In einem anderen Fall habe Voss erwirkt, dass ein Senior seinen Führerschein trotz einiger Vorfälle behalten durfte. Bedingung war, dass er nur noch bei Tageslicht fährt. Nur wenige Menschen wissen von diesen möglichen Beschränkungen. Es komme immer wieder vor, dass einige Senioren nur noch ihr Auto im Umkreis von 50 Kilometern bewegen, um am Heimatort noch alles erledigen zu können. „Man sollte nicht in Schwarz und Weiß denken, sondern bei den Einzelfällen sehen, was möglich ist“, meint Voss. Wichtig sei, die eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen.

Sein Namensvetter aus Ohr, Wilfried Voss, bestätigt das. „Im Moment fahre ich noch überall und war gerade erst noch in Leipzig.“ Aber für die Zukunft habe er sich überlegt, Strecken, die länger als 600 oder 800 Kilometer lang sind, mit dem Zug zurück zu legen. „Das habe ich mir wirklich ernsthaft vorgenommen.“

Der ADAC setzt sich für die fahrenden Senioren ein und ist ebenfalls gegen die verpflichtenden Gesundheitstests. „Wir halten davon ausdrücklich nichts“, sagt Sabine Schlemmer, ADAC-Sprecherin für den Bereich Niedersachsen/Sachsen-Anhalt. Dabei bezieht sich die Organisation auf die Unfallstatistiken des Innenministeriums. „Bundesweit sind in nur 13 Prozent der Unfälle die Verursacher über 65 Jahre alt – und das bei einem Anteil von über 20 Prozent an der fahrfähigen Bevölkerung“, so Schlemmer. Im Vergleich zu anderen Ländern, die Tests vorschreiben, stehe Deutschland gut dar. Ältere Autofahrer seien meist vorausschauender und ruhiger. Diese Eigenschaften könnten die eventuellen Bewegungseinschränkungen wieder ausgleichen. Schlemmer betont außerdem, dass Senioren besonders häufig Opfer seien, wenn sie als Radfahrer oder zu Fuß unterwegs seien. Der ADAC ist der Ansicht, dass Hausärzte noch mehr für das Thema sensibilisiert werden müssten. In einem klärenden Gespräch könnten Defizite angesprochen werden.

In der Realität scheint es noch sehr selten vorzukommen, dass Senioren tatsächlich aus eigenen Stücken ihren Führerschein abgegeben. Bernd Lange vom Straßenverkehrsamt Hameln/Pyrmont kann sich in den vergangenen Jahren an keinen einzigen Fall erinnern. Wenn sich die Senioren dann doch von ihrem Führerschein trennen, liegt meist ein Unfall zugrunde.

In Zukunft wird das Thema noch mehr an Bedeutung gewinnen: Der Durchschnitt der Menschen wird immer älter. Laut der Technischen Universität Dresden geht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) davon aus, dass in vielen OECD-Ländern schon ab dem Jahr 2030 jeder Vierte 65 Jahre oder älter ist. Bei der demografischen Untersuchung des Fachbereichs Bau in Hameln hat sich ergeben, dass bereits heute jeder Vierte in der Rattenfängerstadt 65 Jahre alt ist. Tendenz steigend. Umgekehrt sinkt der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Bevölkerung. Gerade weil sich die Gesellschaft verändern wird, macht Verkehrspsychologe Voss darauf aufmerksam, dass sich auch bestimmte Strukturen ändern müssen. Man müsse sich auf das veränderte Leben einstellen. In Bezug auf das Autofahren im Alter sei es dementsprechend sinnvoll, wenn beispielsweise die Parklücken breiter konstruiert werden würden. „Da haben doch alle etwas von.“ Doch mit solchen Maßnahmen müsse man schon jetzt beginnen und Fördermittel beantragen. Auch die emsländische Stadt Lingen hat sich etwas Besonderes für Senioren einfallen lassen, die kein Auto mehr fahren können. Als erste Kommune in Niedersachsen bietet sie den Tausch Führerschein gegen Busfahrkarte an. Konkret bedeutet das: Wer älter als 80 Jahre alt ist und sich freiwillig von seinem Führerschein trennt, bekommt ein Jahr lang eine freie Fahrt im Busnetz der Stadt. Offenbar kommt das Angebot an, denn bisher haben immerhin zwölf Senioren den Tausch angenommen.

Während sich in der Vergangenheit die Alten vor allem als Fußgänger, Radfahrer oder öffentliche Verkehrsmittel fortbewegten, hat die jetzige Generation fast komplett einen Führerschein. Für diese Gruppe ist die Nutzung des Autos und damit die unbeschwerte Mobilität eine Selbstverständlichkeit, auf die wohl kaum jemand verzichten möchte, mutmaßt der ADAC.

Weil sich aber eben nicht jede Begleiterscheinung des Alters ausgleichen lässt, sind die Fahrer oder ihre Verwandten gefordert. Aber gerade für Verwandte ist es teilweise schwierig, den richtigen Ton zu treffen. „Da kann es helfen, eine neutrale Person hinzu zu ziehen“, meint der Verkehrspsychologe. Das können Neurologen, Fahrlehrer oder eben Verkehrspsychologen sein. Er rät seinen Klienten, sich fit zu halten. Weil das jeder individuell bestimmt, fallen die kognitiven Fähigkeiten sehr unterschiedlich aus. „Wer Denksport und Beweglichkeitsübung macht, hat auch beim Autofahren weniger Probleme“, sagt Voss. Auch Konsumgewohnheiten können beim Autofahren Probleme bereiten. Viele Senioren nehmen täglich diverse Tabletten ein, die Nebenwirkungen verursachen und sich negativ auf das Autofahren auswirken. Aufmerksam wird Voss, wenn sich Autofahrer brüsten, 40 Jahre unfallfrei gefahren zu sein, „Das ist ein gefährliches Indiz, dass sich die Person zu wenig Gedanken macht.“

Auf Senioren, die sich Gedanken wegen ihrer Fahrtauglichkeit machen, trifft Friedrich Temme immer häufiger. Er hat in Minden eine Fahrschule und bietet in Kürze freiwillige Tests für ältere Verkehrsteilnehmer an. „Die älteren Menschen sind durch die Berichterstattungen in den Medien verunsichert“, sagt Temme. Weil die Nachfrage für einen solchen Test in der Vergangenheit immer mehr zugenommen habe, hat er sich nun entschlossen, ein Mal im Monat diese Schulung für Senioren anzubieten. Dort vermittelt er etwa Neuerungen im Straßenverkehr: „Viele kennen das Grünpfeil-Schild nicht oder sind im Kreisverkehr überfordert.“ Eine große Furcht der Senioren ist es, wenn sie häufiger im Straßenverkehr aufgefallen sind. Bei mehreren Verstößen ist die Straßenverkehrsbehörde berechtigt, sich einzuschalten und zu verlangen, dass ein Fahrtest absolviert werden muss, berichtet Temme. Er selbst ist 67 Jahre alt und wird die Kurse durchführen. „Wir können das doch keinen blutjungen Fahrlehrer machen lassen. Da fassen die Senioren doch kein Vertrauen.“ Und das sei bei diesem heiklen Thema nötig.

Mit dem Alter verschlechtern sich die Reaktionsfähigkeit und die Sehkraft. Trotzdem fahren die meisten Senioren weiter mit dem Auto. ADAC und Psychologen sprechen sich noch nicht gegen verpflichtende Gesundheitstests aus. Schließlich bauen die alten Menschen statistisch gesehen weniger Unfälle als die Jungen. Muss der Führerschein dann doch weg, überlegen sich die ersten Kommunen andere Möglichkeiten.




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