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Der öffentliche Nahverkehr will durch neue Kunden die Folgen des Bevölkerungsrückgangs dämpfen

Mit kleineren Bussen und größerem Service

Hameln-Pyrmont. Ingrid König (76) nimmt häufig den Bus – und ärgert sich fast ebenso oft: „An keiner Station ist in Hameln ersichtlich, wo der gerade vorfahrende Bus wieder anhält“, klagt die Seniorin über die aus ihrer Sicht schlechte Fahrgastinformation. Schlimmer noch: „Viele Fahrer sind unfreundlich und inkompetent – warum mutet man den Kunden derartiges zu?“ Eine Kritik, die Carsten Busse, den Chef der heimischen „Öffis“, nicht kalt lässt.

 

Marc Fisser

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Marc Fisser Reporter zur Autorenseite
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Hameln-Pyrmont. Ingrid König (76) nimmt häufig den Bus – und ärgert sich fast ebenso oft: „An keiner Station ist in Hameln ersichtlich, wo der gerade vorfahrende Bus wieder anhält“, klagt die Seniorin über die aus ihrer Sicht schlechte Fahrgastinformation. Schlimmer noch: „Viele Fahrer sind unfreundlich und inkompetent – warum mutet man den Kunden derartiges zu?“ Eine Kritik, die Carsten Busse, den Chef der heimischen „Öffis“, nicht kalt lässt. Denn gerade mit Service und Sympathie will er Kunden halten und gewinnen. Er sieht dies als eine der wichtigsten Stellschrauben, um auch bei sinkender Bevölkerungszahl noch so viele Menschen in die Busse zu locken, dass das Nahverkehrsnetz nicht reißt.

„Der ÖPNV muss gut sein“, bestätigt Busse während einer von der Dewezet angeregten Sonderfahrt in die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs. An Bord des „demografiegerechten“ kleinen preisgünstigen und verbrauchsarmen Wagens mit nur zehn Sitz- und acht Stehplätzen sind neben Carsten Busse auch KVG-Betriebsleiter Hans-Jürgen Aust, Fahrgastsprecherin Dr. Dorothea Schulz sowie Hamelns Seniorenvertreterin Ursula Walthemathe. Das Ziel ist Diedersen. „Seine Anbindung nach Hameln und Coppenbrügge haben wir gerade verbessert“, schildert Busse. Er weist aus dem Fenster: „An diesem Ort lässt sich unsere Zukunftsstrategie schon heute ablesen.“

Die Anpassungen beginnen nicht erst, wenn in zwölf Jahren die Zahl der zu befördernden Schüler als wichtigstes Rad des ÖPNV um ein Viertel gesunken und die Zahl der Menschen besonders in ländlichen Gebieten insgesamt stark geschrumpft sein wird. „Wir reagieren alljährlich auf die Veränderungen“, erklärt der Bus-Chef. Er wolle in starken Bereichen durch ein attraktives Angebot neue Kunden holen, bekräftigt Busse, fügt jedoch hinzu: „Das bedeutet zugleich, dass einige fahrgastschwache Orte einen Komfortverlust hinnehmen müssen.“ Denn wenn ein Linienbus weiterhin jedes Dörfchen unabhängig von der Zusteigefrequenz ansteuere, dann sei er im Vergleich zum Auto zu langsam und verliere letztlich auch Kunden auf der Hauptverbindung. Auf der neuen Linie 50 von Hameln über Diedersen und Bisperode nach Coppenbrügge bleibt deshalb keine Zeit für einen Schlenker nach Harderode. Sollte dort einer der wenigen Bewohner tatsächlich mit dem Bus nach Hameln oder Coppenbrügge wollen, muss er jetzt in Bisperode umsteigen.

„Der Landkreis verlangt auch weiterhin einen flächendeckenden öffentlichen Nahverkehr“, erklärt Busse, deshalb müssten bezahlbare Alternativen für die schwach frequentierte „letzte Meile“ bis zur abgelegenen Haustür geschaffen werden. Das könnte auch ein ehrenamtlich gefahrener Bürgerbus als Zubringer zur Hauptlinie sein. In den ÖPNV pumpt Hameln-Pyrmont pro Jahr 1,4 Millionen Euro. Das ganze System finanziert sich aber hauptsächlich durch den aus der Landeskasse bezuschussten Schülerverkehr. Zwei von drei Busbenutzern sind Schüler – noch kommen hier 13 000 pro Tag zusammen. Dass der erwartete Einbruch bei der Schülerzahl unweigerlich den Zusammenbruch des Öffi-Systems mit sich bringt, glaubt Busse aber nicht: „Was wir jetzt mit 100 Omnibussen erledigen, ist dann vielleicht mit 60 möglich.“ Dann lägen auch die Betriebskosten deutlich niedriger. Busse will jedoch auch neue Kunden vom Busfahren überzeugen. Seine Hoffnung: „Die Leute schaffen ihre Zweitwagen ab.“ Preislich sei das Busfahren schon jetzt „unschlagbar – eine Monatskarte kostet weniger als eine Tankfüllung“. Weiter steigende Energiekosten spielten dem ÖPNV in die Karten, selbst wenn sich Fahrpreisanhebungen nicht vermeiden ließen. Fahrgastbeirätin Schulz bleibt allerdings skeptisch: „Unsere Gesellschaft ist aufs Auto getrimmt. Die Alternative ist noch längst nicht in den Köpfen angelangt.“ Berufspendler etwa fahren überwiegend individuell, allein schon, weil auch die Arbeitszeiten viel flexibler geworden sind. Tatsächlich gehört heute nur jeder zehnte Busbenutzer zur Altersgruppe der 25- bis 45-Jährigen, zwischen 45 und 65 Jahren ist es sogar nur jeder 17. Busse will deshalb die Werbetrommel rühren.

Dabei hat er noch eine weitere Tatsache zu berücksichtigen: Die Menschen bleiben zunehmend länger fit – und damit auch Autofahrer. Seniorensprecherin Walthemathe stellt fest: „Es ist eben bequemer, die Einkäufe im eigenen Auto nach Hause zu bringen.“ Doch Busse sieht auch hier Möglichkeiten. „Einzelhändler sollten die Busbenutzer besser wahrnehmen“, empfiehlt er, „der regelmäßige Taschenkunde mit dem Tageseinkauf ist ebenso hoch zu bewerten wie der Autofahrer, der wöchentlich seinen Kofferraum volllädt.“ Busse folgert: Supermärkte müssen im Ortskern liegen, einen Busanschluss haben, und der Haltestellenbau könnte von den Ladenbesitzern gesponsert werden. Andernorts sind schon „Supermarktbusse“ geplant, die betagte Einkäufer hin- und nach angemessener Zeit zurückbringen – finanziell gefördert von den Händlern.

Der Kreis Schaumburg hat sich auf die Fahrbedürfnisse seiner älteren Bürger durch das Seniorentaxi eingestellt – ein deutschlandweit einmaliges Angebot, wie Sachbearbeiter Knut Utech berichtet. Die Senioren erhalten dort mit Wertbons des Kreises abends und am Wochenende in Taxis 50 Prozent Rabatt. Die Differenz erstattet die Behörde dem Chauffeur, womit sie billiger fährt als bei der Bezuschussung eines entsprechenden Busnetzes.

Flotte Linien, gute Anschlüsse, passende Fahrzeuge, günstige Preise – fehlt noch die von Ingrid König geforderte Service-Komponente. „Wir schulen unsere Fahrer verstärkt, um sie zu echten Dienstleistern zu machen“, schildert Aust. Die helfen Gehbehinderten dann beim Ein- und Ausstieg und beantworten jegliche Fragen. Mit der neuen Leitstelle im Busdepot, die Ende 2009 einsatzbereit sein wird, sollen die Busfahrer zudem kommunikationstechnisch vernetzt sein.




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