Wie die "Mutter und Mörderin" zur vollziehenden Gewalt neuzeitlicher Prinzipien wird
Medea mit Schatten, Headset und Hall
Rinteln.
Zwiespältige Gefühle hinterließ bei vielen Besuchern ganz sicher das jüngste Gastspiel der Landesbühne Hannover beim Rintelner Kulturring.
Autor:
Ulrich Reineking
Anzeige
Alle Jahre wieder setzt das Theater ein Stück auf seinen Spielplan, das Bezug nimmt auf den Lektüreplan für das Zentralabitur in Niedersachsen - und diesmal gab man vor, die "Medea" nach Euripides zu spielen, ist doch im "Kanon" für den Deutsch-Unterricht der Roman "Medea" von Christa Wolf vorgesehen.
Nun nimmt diese Autorin zwar Bezug auf den konfliktbeladenen Stoff um Enttäuschung, Verrat und mörderische Rache, geht aber in ihrem Roman davon aus, dass Medea keine Täterin ist, sondern unschuldiges Opfer einer Intrige - eine sicher legitime Position, auch wenn sie sich auf den klassischen Medea-Mythos bezieht.
Nun kann man heute nicht voraussetzen, dass die tragische Konstellation dieses Ausgangsstoffes mit Selbstverständlichkeit bekannt ist - und so durfte/musste/wollte man sich natürlich eine weitgehende Werktreue der Inszenierung wünschen, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, daran das Verständnis von Christa Wolf zu messen.
Falls dies jemals die Absicht der Dramaturgie war, so wurde sie mit der Textvorlage von Beate Rothmaier in der Inszenierung von Bettina Rehm auf ganzer Linie verfehlt. Dieser "Medea" geht es nicht um vernichtende Rache für Erniedrigungen und Demütigungen - sie rast nicht ohne Maß und Ziel, sondern wird zu einer reichlich durchgeknallten Kämpferin für die von ihr definierten weiblichen Interessen.
Die "Mutter und Mörderin" hält ihrem Publikum denn auch die Frage entgegen: "Indem ich meine Kinder töte, erfülle ich eure geheimsten Wünsche. Oder hast du dein Kind noch nie, schwöre, noch nie, an die Wand schmeißen wollen?"
Natürlich ist eine solche Interpretation legitim - in einem Kontext aber, wo es gilt, überhaupt erst ein Bewusstsein für die Psychologie des historischen Konflikts zu schaffen, ist dieses Vorgehen fehl am Platze. So war es denn nicht nur ungezogenem Pennälertum anzulasten, dass es an manchen Stellen auch zu unpassendem Gelächter kam - was die Schauspieler noch am allerwenigsten verantworten mussten.
Die "Medea " von Annetraut Lutz Weickenüberzeugte mit hoher Sprechkultur speziell bei den klassischen Monologen, Barbara Bent beeindruckte als geheimnisvolle Amme und der Kreon von Oliver Jaksch wies das erforderliche Maß an Niedertracht auf.
Das so folgenschwere Zaudern und Schwanken des Jason machte Rüdiger Hellmann deutlich und Philip Richert war eine durchaus angemessene Verkörperung eines Königs von Athen, der sich nur bedingt von einer rasenden Medea als Unterstützer in Anspruch nehmen lassen wollte.
Denkbar schwer hatte es Ulrike Dallapozza mit der von Autorin Rothmaier erfundenen Figur der "Medea 2", die als reflektierender Schatten der Zentralfigur für reichlich Kopfgeburt-Übungen in Anspruch genommen wurde. Lag es nun an mangelnder Tragfähigkeit der Stimme, dass sie mit einem technisch problematischen Headset ausgestattet worden war oder brauchte man dies für jene Szenen, wo man ihre Sprechtexte "schattenmäßig" verfremdete und verhallenließ?
Wie auch immer - die dadurch provozierte Irritation konnte während ihres Spiels kaum je aufgelöst werden.
Die Körpersprache des Ensembles wirkte zumeist wie eine Trockenübung beim Sommerkurs von Palucca-Schülerinnen am Strand von Hiddensee oder erging sich in slapstickhafter Darstellung von Gehbehinderungen und arthritischer Motorik: schon sehr bemüht, das Ganze.
Trotzdem Beifall. Nochmals Beifall. Durchaus verdienter Beifall - denn diesen interpretatorischen Ritt zu unternehmen, verlangte allen Beteiligten sehr viel Kraft ab.