Auf Ursachensuche: Warum viele Berufsschüler im Berufsgrundbildungsjahr so oft krank sind
"Männer, was ist eigentlich los mit euch?"
Rinteln.
"Wir sind jaübrig geblieben, wir sind eben der Rest", sagt Gerd auf die Frage, warum in seiner Klasse so viele Schüler so oft krankgeschrieben sind. Er ist Schüler an der BBS (Berufsbildende Schulen) in Rinteln und besucht mit etwa 25 Mitschülern das Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) im Fachbereich Metalltechnik.
Autor:
Cornelia Kurth
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Eigentlich ist es eine sympathische Schülergruppe, der man anmerkt, dass sie eine gute Klassengemeinschaft bilden, lauter junge Männer zwischen 15 und 20 Jahren. Aus den verschiedensten Gründen bekamen sie nach ihrem Haupt- oder Realschulabschluss keine Lehrstelle, sondern machen eine Art Ersatzlehre an der BBS: Drei Tage Arbeit in den Werkstätten, zwei Tage Unterricht. Der Dienstag gehört Klassenlehrer Henner Steuber, einem alten Hasen an der BBS, gelernter Maschinenbauschlosser und Diplom-Ingenieur.
"Männer, ich versteh' nicht, was mit euch los ist", das sagt er fast jedes Mal, wenn er die Klasse betritt und sieht, wie viele auch heute wieder fehlen. "Schließlich geht es hier um eure berufliche Zukunft!"
So schlimm wie in der letzten Zeit sei es noch nie zuvor gewesen, meint er, wirklich besorgt. Und er weist auf die gleichaltrigen Berufsschüler hin, die in Rintelner Betrieben ihre Lehre machen und einmal in der Woche an die BBS kommen. "Da sieht alles ganz anders aus! Da klappt alles ganz wunderbar!"
Die Schüler ohne Lehrstelle im Berufsgrundbildungsjahr haben durchaus Erklärungen parat: "Wenn man eine Lehre macht, dann verdient man Geld - das ist eine ganz andere Motivation", sagt Bartosch. "Viele von uns nehmen die Schule hier nicht richtig ernst, weil es keine richtige Ausbildung ist", so Gerd. Und Patrick meint: "In einer Firma geht es um etwas, man wird vielleicht übernommen. Hier ziehen viele einfach nur ihr Jahr durch und wissen dann auch nicht weiter."
Henner Steuber machen solche Antworten ganz kribbelig. Das BGJ wird von vielen Betrieben als ein erstes Lehrjahr anerkannt. Wer sich hier bewährt, hat durchaus Chancen bei einer Bewerbung. In den großen, bestens ausgestatteten Werkstätten der Schule kann man alles über pneumatische und hydraulische Steuerungstechnik lernen und eigene Handhabungsgeräte an Dreh- und Fräsmaschinen bauen. Auch gibt es Unterstützung vom Lehrer, wenn es um Bewerbungen geht. "Aber ihr müsst auch kommen! Euch engagieren! An eure Kräfte glauben!"
Dass das nicht immer leicht ist, weiß ja auch er. Die "Männer" fühlen sich oft, als lernten sie in einem luftleeren Raum. Sie sind nicht Teil eines Ganzen, wie diejenigen, die in einem Betrieb ausgebildet werden und andere "echte" Kollegen um sich haben, und das Berufsgrundbildungsjahr ist nicht die Erwachsenenwelt, in die man miteiner Lehre eintritt. "Wenn ich schwänze, denke ich nicht groß drüber nach", sagt Tom. "Es geht ja nur mich was an."
Die Fehlzeiten, entschuldigt oder unentschuldigt, werden allerdings im Zeugnis registriert und ermöglichen einem potenziellen Arbeitgeber, Rückschlüsse zu ziehen über die Zuverlässigkeit und Ausdauer eines Bewerbers.
Genau das versucht Henner Steuber immer wieder seinen Schülern klar zu machen. Wenn Gerd mit lächelnd ironischem Unterton sagt: "Wir sind eben der Rest...", oder Bartosch sagt: "Manche von uns merken, dass sie überhaupt nicht für einen Beruf geschaffen sind...", dann könnte Steuber jedes Mal neu an die Decke gehen.
Und die Jungs, die "Männer", sie sind recht aufmerksam dabei, wenn er immer wieder all die Argumente nennt, die dafür sprechen, die Ausbildung im BGJ als ersten Schritt in den Beruf aufzufassen, auch dann, wenn er schimpft und kritisiert. "Im Grunde mögen wir es ganz gerne, wenn er sich so aufregt", meint Gerd und die anderen nicken. Schließlich würde er sich ja wohl nicht mit ihnen streiten, wenn er die Hoffnung aufgegeben hätte.