In Umfragen haben sie jüngst die Grünen als drittstärkste Partei hinter sich gelassen. „Wir sind die Partei für den enttäuschten Bürger von nebenan“, formuliert es Bernd Riensch (46) aus Stadthagen, der im März für die Piraten-Partei zum Direktkandidaten für Schaumburg gewählt wurde. Er will im kommenden Januar in den niedersächsischen Landtag einziehen. Gerade mal seit vier Monaten gibt es überhaupt Piraten in Schaumburg. Alle zwei Wochen mittwochs treffen sie sich zum Stammtisch im Stadthäger Bistro „Dudelsack“.
In Umfragen haben sie jüngst die Grünen als drittstärkste Partei hinter sich gelassen. „Wir sind die Partei für den enttäuschten Bürger von nebenan“, formuliert es Bernd Riensch (46) aus Stadthagen, der im März für die Piraten-Partei zum Direktkandidaten für Schaumburg gewählt wurde. Er will im kommenden Januar in den niedersächsischen Landtag einziehen. Gerade mal seit vier Monaten gibt es überhaupt Piraten in Schaumburg. Alle zwei Wochen mittwochs treffen sie sich zum Stammtisch im Stadthäger Bistro „Dudelsack“.
Die Teilnehmer dort passen um einen großen Kneipentisch herum. Stammtischgründer Sven Hennig, ein großer, gemütlich gebauter Schüler, ist mit 18 Jahren der Jüngste in der Runde. Die anderen sechs Parteimitglieder, darunter auch als einzige Frau die Nienburger Rechtsanwältin Melanie Böger, die vormals für die Partei „Die Linke“ kandidierte, sie dürften im Durchschnitt genau das Alter von etwa 35 Jahren haben, das auch als Durchschnittsalter der bundesdeutschen Piraten insgesamt gilt. Zwei sogenannte „Stammtisch-Hopper“ sind auch dabei, aus Nienburg und Hannover, und noch drei einfach so interessierte Bürger. Außerdem will Frank Zunk von der „Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen“ einen Vortrag halten.
„Stammtische“, diese lockere Form des Zusammentreffens wählen die Piraten, um die Hemmschwelle für Neugierige so niedrig wie möglich zu halten. Jeder darf kommen, mitreden, ja sogar mitbestimmen, egal, ob er sogar einer anderen Partei angehört. Lokale Themen stehen im Vordergrund, jedenfalls bei den bereits erfahreneren Stammtisch-Piraten wie denjenigen in Hameln oder Minden. In Stadthagen dreht sich noch alles darum, wie man noch viel mehr Menschen auf sich aufmerksam machen kann: durch Besuche in den umliegenden Bürgerinitiativen etwa oder mit dem „Mobilen Piratenbüro“, einem noch umzurüstenden Schankwagen, der dann über die Dörfer rollen soll, um die Bürger zu Bier und Kaffee einzuladen und mit ihnen zu diskutieren.
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S. Hennig
Foto: DIALOG
„Ist diese Offenheit nicht auch gefährlich?“ fragt ein junger Mann aus Rinteln, der zum ersten Mal beim Stammtisch ist. „Was, wenn Nazis sich einschleichen und mitbestimmen?“ Sven Hennig lächelt, er kennt diese Fragen: „Die sollen ruhig kommen und werden dann ja sehen! Wir pfeifen nicht von oben herab jemanden zurück, wir vertrauen auf die Basis und auf Abstimmungsergebnisse, die sich durch gleichberechtigte Diskussionen ergeben. Da haben Extremisten keine Chance.“ Da ahnte Hennig noch nicht, dass ein Berliner Piraten-Abgeordneter seine Partei mit den Anfängen der NSDAP vergleichen würde.
Aber wie alle Piraten vertraut Hennig auf die „Schwarmintelligenz“, darauf, dass die besten, vernünftigsten Ergebnisse erreicht werden, wenn nicht wenige Leute die Richtung vorgeben und sich dabei auch leicht verrennen, sondern wenn möglichst viele verschiedene Menschen zur Sprache bringen, was sie zu einer Sache zu sagen haben, damit sich dann ein klarer Weg herauskristallisiert.
Noch allerdings sieht es bei den Schaumburger Piraten anders aus. Es sind einfach zu wenige Mitglieder, um so etwas wie einen „Schwarm“ zu bilden. Souverän leitet Sven Hennig das Treffen und niemand der anderen mischt sich groß ein, als er die Tagesordnung verliest und vom Wahlkampf der Mindener Piraten berichtet. Er wird auch das Sitzungsprotokoll anfertigen, das er dann auf die von ihm betreute Website stellt, wie schon die Protokolle der vorherigen Stammtische. Ihm zur Seite steht Bernd Riensch, der so viel älter ist, ohne dass man bei den Gesprächen der beiden irgendetwas von diesem Altersunterschied bemerken würde.
„Man könnte sagen, ich bin der typische Technik-Nerd, genau der Typ, den sich alle immer unter einem Piraten vorstellen“, sagt Sven Hennig. Anfangs, als er während der Europawahl 2009 begann, sich mit der Piratenpartei auseinanderzusetzen, faszinierten ihn vor allem die Fragen rund um die Bewahrung der Bewegungs- und Informationsfreiheit im Internet, das große Thema der Piraten. Als aber seine schulische Ausbildung zum Fachinformatiker vorläufig daran scheiterte, dass er kein Bafög mehr zugesprochen bekam (inzwischen macht er per Fernstudium sein Abitur), rückte die deutsche Bildungspolitik verstärkt in sein Interesse und damit auch das Ziel der Piratenpartei, Bildung ohne Gebühren zugänglich zu machen. Hennig wollte sich einem Piraten-Stammtisch in Schaumburg anschließen, und als er feststellte, dass es noch gar keinen gab, gründete er kurzerhand selbst einen. Ganz schön viel Verantwortung liegt allein bei ihm. „Ich will das ja gar nicht“, meint er. „Aber noch sind wir so wenig, die regelmäßig kommen, dass es kein anderer macht als ich.“
25 Mitglieder haben die Schaumburger Piraten. Davon zählen 15 zu den „Aktiven“, das heißt, nur sie zahlen auch tatsächlich ihre Mitgliedsbeiträge und sind damit bei Wahlen abstimmungsberechtigt.
Bernd Riensch aus Bückeburg, die zweite bestimmende Person an diesem Stammtisch, trat im März den Piraten bei und machte mit seiner ruhigen, kompetent wirkenden Art auf die sieben Wahlberechtigten offenbar gleich solchen Eindruck, dass er mit fünf Stimmen zum Direktkandidaten für die Landtagswahl 2013 gewählt wurde. Er ist gelernter Koch, kam beruflich viel in der Welt herum, studierte dann Betriebswirtschaft und arbeitet jetzt als Gesundheitsmanager in einer Pflegeeinrichtung. Direkt politische Erfahrung besitzt er bisher genauso viel oder wenig wie Sven Hennig. „Das kümmert mich aber nicht“, meint er. „Ich vertrete das Konzept eines lebenslangen Lernens.“
Er wird die Aufgabe übernehmen, eine ganze Liste von Bürgerinitiativen abzuarbeiten, indem er sie anschreibt, um sie zu den Stammtischen einzuladen oder selbst dort vorbeizuschauen. Er sagt es zwar nicht so, aber ziemlich klar scheint trotzdem, dass die Schaumburger Piraten sich ihre konkreten Themen noch erobern müssen und deshalb Leute suchen, die sich bereits engagieren, sei es gegen die problematische Erdgasförderungsmethode, das „Fracking“, sei es in Sachen „Jade-Weser-Port“ oder überhaupt in Angelegenheiten rund um Rentner, Hausbesitzer, „Gerechtigkeit für Bürger“ oder was auch immer den Menschen im Landkreis unter den Nägeln brennt.
Zwischendurch rauscht der etwas langatmige Bürgerinitiativen-Vortrag über das bedingungslose Grundeinkommen an den Ohren vorbei und schafft es nicht, eine Grundsatzdiskussion zu entfachen. Es ist wirklich nicht leicht, quasi aus dem Nichts heraus eine Partei zu bilden, in der es nicht mehr nur darum geht, ob auch auf dem Lande jedem ein gut funktionierender Internetzugang zur Verfügung steht, sondern die im Prinzip zu allen politischen Themen etwas zu sagen haben soll. So leichthin, wie es die Theorie wünscht, konkretisiert sich da nichts.
Die Piratenpartei Schaumburg ist nicht einfach von selbst da, sie entsteht erst. Bernd Riensch und Sven Hennig, sie wollen es forcieren. Ein Kreisverband soll gegründet werden, schon heute bei einer Gründungsversammlung im „Dudelsack“, in der Stadthäger Echternstraße 12, ab 19 Uhr.
Zwei Stammtischteilnehmer äußern Bedenken und schlagen vor, die Gründung zu verschieben, bis mehr Mitglieder sich die dann anstehenden neuen Aufgaben teilen können. Bei einer Abstimmung, an der auch Nicht-Parteimitglieder teilnehmen dürfen, setzt sich aber die Idee durch, die Existenz eines Kreisverbandes werde ja automatisch für erhöhte Aufmerksamkeit und damit für neue Mitglieder sorgen.
Auf der Internetseite der Piratenpartei Schaumburg kann man nun nachlesen, dass Sven Hennig für den Vorsitz kandidiert und Bernd Riensch als Stellvertreter. Ein Kandidat für das Schatzmeisteramt ist auch gefunden, Kai Prellberg, seit 2011 Parteimitglied. Zwei ehemalige Mitglieder der „Linken“ lassen sich für die Aufgaben der beiden Beisitzer aufstellen. An der Liste kann sich noch etwas ändern, denn jedes Piratenparteimitglied, das seinen Mitgliedsbeitrag bezahlt hat – das kann auch heute direkt vor Ort geschehen –, darf auch noch in letzter Sekunde kandidieren.
Die Piraten-Partei sorgt bundesweit für Wirbel – einerseits im Umfragehoch,
andererseits konfrontiert mit Nazi-Vorwürfen. Sind die Piraten lediglich ein loser Haufen ohne politische Ideen? Ihre
Themen müssen sich die Schaumburger Piraten tatsächlich noch erobern. Die
Partei ist nicht einfach da, sondern sie ist gerade im Begriff des Entstehens. Heute steht die Gründung eines Piraten-Kreisverbandes bevor.