×

Familienurlaub geht auch anders

Mit den Sommerferien steht auch die Hauptreisezeit für Familien kurz bevor. Wo soll es hingehen? Ferienwohnung im Allgäu, derselbe Campingplatz wie immer an der Ostsee oder all-inclusive ans Mittelmeer? Klingt alles gut. Nur – wir machen das ein bisschen anders.

Die Frage lautet zunächst: Machen wir Urlaub, oder wollen wir reisen? Das eine schließt das andere nicht aus, aber dasselbe ist es nicht. Wer darauf besteht, sein Hirn der totalen Entspannung halber ein, zwei Wochen komplett auszuschalten, ist mit dem oben genannten Standardprogramm in Sachen Reisezielen sicher gut bedient. Aber wer sich auch in der freiesten Zeit des Jahres Neugier und Abenteuerlust nicht verkneifen kann und bereit ist, sich vom Entdeckerdrang des Nachwuchses freudig anstecken zu lassen, der wird feststellen, dass es sich auch mit Kindern wunderbar reisen lässt.

Mit Anfang 20, als unsere Freunde Auslandssemester in europäischen Großstädten einlegten und monatelang mit dem Rucksack durch Austra-lien tingelten, wurden wir El-tern. Wir nahmen so hin, dass für uns jetzt die Zeit des Urlaubs auf dem Bauernhof angebrochen war. Und das macht auch Spaß, so ist es ja nicht. Aber nachdem wir drei Sommer in Folge im selben Ferienort an der See verbracht hatten, fragten wir uns plötzlich: Warum sollen wir nicht mal wieder richtig verreisen? Was spricht denn dagegen, mit Kindern im Schlepptau unterwegs zu sein? Und so brachen wir im Sommer darauf mit einem sieben Monate alten Baby und einem Dreijährigen im Gepäck zu einem Roadtrip nach Großbritannien auf.

Wir ließen es langsam angehen, planten für drei Wochen erst einmal „nur“ fünf Ortswechsel ein und verbrachten volle sieben Tage im sehr beschaulichen Exmoor. Unsere Ausflüge gestalteten wir so, dass alle etwas davon hatten: eine Fahrt mit dem Ruderboot durch Canterbury für die Jungs, den informativen Reiseführer im Anschlag, damit wir Großen auch etwas davon hatten. Wir verbrachten viel Zeit auf englischen Spielplätzen, aber wir bekamen doch ebenso viel von Land und Leuten zu Gesicht.

Nachdem diese Art des Reisens uns alle so begeistert hatte, übernahmen wir sie als feste Familientradition. Inzwischen sind wir in allen Himmelsrichtungen gewesen: in Liechtenstein und in der Toskana, in der Bretagne und einmal rundherum auf der irischen Insel, in den skandinavischen Ländern und im Baltikum. Wir lernten, leicht zu packen, denn spätestens nach der dritten Nacht wechseln wir das Quartier, um links und rechts des Weges neues Unbekanntes zu erkunden.

Die Kinder wurden älter, interessierten sich zunehmend selbst für unsere Reiseziele und brauchten nur kleine Anstupser, um sich plötzlich brennend für prähistorische Monolithen, frühchristliche Klöster und bronzezeitliche Felsritzungen zu begeistern. Geschichte und Geologie zum Anfassen, die ganze Welt als Klassenzimmer. Alle vier gemeinsam begaben wir uns immer wieder auf die Suche nach neuen Erkenntnissen und Aha-Erlebnissen.

Als junge Familie ohne dickes Finanzpolster waren wir auf günstige Unterkünfte angewiesen. Die Hostels und Jugendherbergen, die wir noch aus früheren Backpacker-Tagen kannten, kamen uns da mit Familienzimmern und Selbstversorgerküchen sehr entgegen. Ein weiterer Vorteil: Sobald die Kinder schliefen, kamen wir im Gemeinschaftsraum mit anderen Reisenden ins Gespräch, lernten viel und konnten endlich einmal wieder über Erwachsenendinge reden.

Und als wir endlich mutig genug zum Couchsurfing waren, intensivierten sich unsere Reisen noch einmal um ein Vielfaches. „Couchsurfing, das ist, wenn man Freunde besucht, die man vorher noch gar nicht kennt“, hat mein Sohn Silas das Konzept einmal auf den Punkt gebracht, als er sechs Jahre alt war. Was bei Studenten mittlerweile Gang und Gäbe ist, um anderswo eine kostenlose Bleibe zu finden, funktioniert auch wunderbar als Familie.

Über das entsprechende Internetportal (www.couchsurfing.org) knüpfen wir Kontakte zu Einheimischen, die uns für ein paar Tage in ihrem Zuhause aufnehmen – oft inklusive gemeinsamen Spielplatzabenteuern, Ausflügen und Abendessen: Das bereiten dann wir als Gäste zu, und es gibt Kartoffelpuffer oder deutsche Käsespätzle als Dankeschön.

Nach Schaumburg verirren sich leider nur wenige Couchsurfer, aber im Laufe der Jahre haben wir als Gastgeber doch schon 14 andere Familien beherbergt, darunter auch Amerikaner, Australier und Koreaner – das ist wie Passiv-Reisen. Durchs Couchsurfing lernen wir unsere Reiseländer gleichsam „von innen“ kennen, und es entstehen intensive Bekanntschaften, die nicht selten in echte Freundschaften münden.

Auch die Kinder machen wertvolle Erfahrungen. Zum Beispiel, dass man auch ohne gemeinsame Sprache miteinander spielen kann, aber dass es doch eine gute Idee ist, Englisch zu lernen, und dass ein eigenes Zimmer ein gehöriger Luxus ist und Kinder in anderen Ländern auch ohne glücklich sind.

Natürlich fragen wir uns manchmal, ob wir den Jungs nicht zu viel zumuten, mit der ganzen Rumreiserei, den vielen Ortswechseln und immer wieder fremden Gesichtern. Aber als wir einmal die letzte Chance vor der Schulpflicht nutzten und außerhalb der Saison eine ganze Woche lang ein Ferienhaus in Dänemark mieteten, jammerte Silas ab dem dritten Tag jeden Morgen: „Wann fahren wir denn endlich weiter? Ohne Couchsurfer wird das hier langsam echt langweilig.“ Und als ich neulich beim Abendessen bemerkte, dass demnächst ein langes Wochenende auf uns zukommt, lautete Janis’ erste Reaktion: „Cool! Also, wohin reisen wir?“

Wenn man Kinder dazu anleitet, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen, entwickeln sie von ganz allein Begeisterung für Geschichte und Kultur (Bild oben). Beim Couchsurfing lernt die Familie von Lena Marie Hahn, wie Menschen anderswo Dinge angehen – zum Beispiel das Äpfelschälen in Norwegen (kleines Bild links). Auch für kleine Kinder gibt es beim Reisen viel zu entdecken. Erfolgsrezept: viele Pausen, und eine gute Trage für den Baby-Transport (kleines Bild rechts). lmh (4)

Kann man mit kleinen Kindern nicht

nur Urlaub machen, sondern reisen? Man kann! Das meint zumindest Autorin Lena Marie Hahn. Die zweifache Mutter aus Obernkirchen ist mit ihrer Familie mehrere Wochen im Jahr unterwegs – abseits ausgetretener Pfade des Familientourismus. Roadtrips, Couchsurfing-Abenteuer und Kultur zum Anfassen inklusive.

Autor:

Lena Marie Hahn
Anzeige

Mit den Sommerferien steht auch die Hauptreisezeit für Familien kurz bevor. Wo soll es hingehen? Ferienwohnung im Allgäu, derselbe Campingplatz wie immer an der Ostsee oder all-inclusive ans Mittelmeer? Klingt alles gut. Nur – wir machen das ein bisschen anders.

Die Frage lautet zunächst: Machen wir Urlaub, oder wollen wir reisen? Das eine schließt das andere nicht aus, aber dasselbe ist es nicht. Wer darauf besteht, sein Hirn der totalen Entspannung halber ein, zwei Wochen komplett auszuschalten, ist mit dem oben genannten Standardprogramm in Sachen Reisezielen sicher gut bedient. Aber wer sich auch in der freiesten Zeit des Jahres Neugier und Abenteuerlust nicht verkneifen kann und bereit ist, sich vom Entdeckerdrang des Nachwuchses freudig anstecken zu lassen, der wird feststellen, dass es sich auch mit Kindern wunderbar reisen lässt.

Mit Anfang 20, als unsere Freunde Auslandssemester in europäischen Großstädten einlegten und monatelang mit dem Rucksack durch Austra-lien tingelten, wurden wir El-tern. Wir nahmen so hin, dass für uns jetzt die Zeit des Urlaubs auf dem Bauernhof angebrochen war. Und das macht auch Spaß, so ist es ja nicht. Aber nachdem wir drei Sommer in Folge im selben Ferienort an der See verbracht hatten, fragten wir uns plötzlich: Warum sollen wir nicht mal wieder richtig verreisen? Was spricht denn dagegen, mit Kindern im Schlepptau unterwegs zu sein? Und so brachen wir im Sommer darauf mit einem sieben Monate alten Baby und einem Dreijährigen im Gepäck zu einem Roadtrip nach Großbritannien auf.

2 Bilder

Wir ließen es langsam angehen, planten für drei Wochen erst einmal „nur“ fünf Ortswechsel ein und verbrachten volle sieben Tage im sehr beschaulichen Exmoor. Unsere Ausflüge gestalteten wir so, dass alle etwas davon hatten: eine Fahrt mit dem Ruderboot durch Canterbury für die Jungs, den informativen Reiseführer im Anschlag, damit wir Großen auch etwas davon hatten. Wir verbrachten viel Zeit auf englischen Spielplätzen, aber wir bekamen doch ebenso viel von Land und Leuten zu Gesicht.

Nachdem diese Art des Reisens uns alle so begeistert hatte, übernahmen wir sie als feste Familientradition. Inzwischen sind wir in allen Himmelsrichtungen gewesen: in Liechtenstein und in der Toskana, in der Bretagne und einmal rundherum auf der irischen Insel, in den skandinavischen Ländern und im Baltikum. Wir lernten, leicht zu packen, denn spätestens nach der dritten Nacht wechseln wir das Quartier, um links und rechts des Weges neues Unbekanntes zu erkunden.

Die Kinder wurden älter, interessierten sich zunehmend selbst für unsere Reiseziele und brauchten nur kleine Anstupser, um sich plötzlich brennend für prähistorische Monolithen, frühchristliche Klöster und bronzezeitliche Felsritzungen zu begeistern. Geschichte und Geologie zum Anfassen, die ganze Welt als Klassenzimmer. Alle vier gemeinsam begaben wir uns immer wieder auf die Suche nach neuen Erkenntnissen und Aha-Erlebnissen.

Als junge Familie ohne dickes Finanzpolster waren wir auf günstige Unterkünfte angewiesen. Die Hostels und Jugendherbergen, die wir noch aus früheren Backpacker-Tagen kannten, kamen uns da mit Familienzimmern und Selbstversorgerküchen sehr entgegen. Ein weiterer Vorteil: Sobald die Kinder schliefen, kamen wir im Gemeinschaftsraum mit anderen Reisenden ins Gespräch, lernten viel und konnten endlich einmal wieder über Erwachsenendinge reden.

Und als wir endlich mutig genug zum Couchsurfing waren, intensivierten sich unsere Reisen noch einmal um ein Vielfaches. „Couchsurfing, das ist, wenn man Freunde besucht, die man vorher noch gar nicht kennt“, hat mein Sohn Silas das Konzept einmal auf den Punkt gebracht, als er sechs Jahre alt war. Was bei Studenten mittlerweile Gang und Gäbe ist, um anderswo eine kostenlose Bleibe zu finden, funktioniert auch wunderbar als Familie.

Über das entsprechende Internetportal (www.couchsurfing.org) knüpfen wir Kontakte zu Einheimischen, die uns für ein paar Tage in ihrem Zuhause aufnehmen – oft inklusive gemeinsamen Spielplatzabenteuern, Ausflügen und Abendessen: Das bereiten dann wir als Gäste zu, und es gibt Kartoffelpuffer oder deutsche Käsespätzle als Dankeschön.

Nach Schaumburg verirren sich leider nur wenige Couchsurfer, aber im Laufe der Jahre haben wir als Gastgeber doch schon 14 andere Familien beherbergt, darunter auch Amerikaner, Australier und Koreaner – das ist wie Passiv-Reisen. Durchs Couchsurfing lernen wir unsere Reiseländer gleichsam „von innen“ kennen, und es entstehen intensive Bekanntschaften, die nicht selten in echte Freundschaften münden.

Auch die Kinder machen wertvolle Erfahrungen. Zum Beispiel, dass man auch ohne gemeinsame Sprache miteinander spielen kann, aber dass es doch eine gute Idee ist, Englisch zu lernen, und dass ein eigenes Zimmer ein gehöriger Luxus ist und Kinder in anderen Ländern auch ohne glücklich sind.

Natürlich fragen wir uns manchmal, ob wir den Jungs nicht zu viel zumuten, mit der ganzen Rumreiserei, den vielen Ortswechseln und immer wieder fremden Gesichtern. Aber als wir einmal die letzte Chance vor der Schulpflicht nutzten und außerhalb der Saison eine ganze Woche lang ein Ferienhaus in Dänemark mieteten, jammerte Silas ab dem dritten Tag jeden Morgen: „Wann fahren wir denn endlich weiter? Ohne Couchsurfer wird das hier langsam echt langweilig.“ Und als ich neulich beim Abendessen bemerkte, dass demnächst ein langes Wochenende auf uns zukommt, lautete Janis’ erste Reaktion: „Cool! Also, wohin reisen wir?“

Wenn man Kinder dazu anleitet, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen, entwickeln sie von ganz allein Begeisterung für Geschichte und Kultur (Bild oben). Beim Couchsurfing lernt die Familie von Lena Marie Hahn, wie Menschen anderswo Dinge angehen – zum Beispiel das Äpfelschälen in Norwegen (kleines Bild links). Auch für kleine Kinder gibt es beim Reisen viel zu entdecken. Erfolgsrezept: viele Pausen, und eine gute Trage für den Baby-Transport (kleines Bild rechts). lmh (4)

Kann man mit kleinen Kindern nicht

nur Urlaub machen, sondern reisen? Man kann! Das meint zumindest Autorin Lena Marie Hahn. Die zweifache Mutter aus Obernkirchen ist mit ihrer Familie mehrere Wochen im Jahr unterwegs – abseits ausgetretener Pfade des Familientourismus. Roadtrips, Couchsurfing-Abenteuer und Kultur zum Anfassen inklusive.




Anzeige
Weiterführende Artikel
    Anzeige
    Das könnte Sie auch interessieren...
    Kontakt
    Redaktion
    Telefon: 05041 - 78932
    E-Mail: redaktion@ndz.de
    Anzeigen
    Telefon: 05041 - 78910
    Geschäftsanzeigen: Anzeigenberater
    Abo-Service
    Telefon: 05041 - 78921
    E-Mail: vertrieb@ndz.de
    Abo-Angebote: Aboshop

    Keine Zeitung bekommen? Hier zur Zustell-Reklamation.
    X
    Kontakt