Sieben Wochen leben mit Hartz IV: "Die meisten Teilnehmer werden mit dem Geld nicht auskommen"
Erdbeeren aus Spanien oder Bratkartoffeln?
Rinteln.
Tja, meint die Frau, mit der ich beim Paprika-Aussuchen im Supermarkt ins Gespräch komme, eigentlich ist Hartz IV zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Sie rechnet es mir einfach vor: 1350 Euro erhält sie im Monat für sich und ihre beiden Kinder, davon geht die Miete runter, Versicherungen hat sie schon lange nicht mehr, rund 400 Euro bleiben unterm Strich.
Autor:
Frank Westermann
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Im Kino war sie seit Jahren nicht mehr, und gut, dass jetzt keiner krank wird, denn zehn Euro für die Praxisgebühr sind zum Monatsende einfach nicht mehr drin. Und an das kommende Schuljahr mit den neuen Büchern, die angeschafft werden müssen, will sie erst gar nicht denken.
Es sind ganz neue Gespräche, die ich plötzlich führe, seit ich bei der Aktion "Sieben Wochen leben mit Hartz IV" mitmache. Und niemals hätte ich mir vorstellen können, wie schwer es mir fallen würde, mich beim Bäcker zu outen.
Zwei Anläufe sind notwendig, ehe ich mich zu fragen traue, ob er auch Brot von gestern hat - zum halben Preis. Alle schauen mich an.
Beim Obststand kann ich sehen, dass Februar ist: Die Erdbeeren sind da. Die "viel zu frühen Früchtchen" (taz) stammen aus Spanien und sind mindestens zu einem Drittel illegal angebaut: Ein Waldstück roden, einen Brunnen bohren, Folienzelt drüber - fertig ist die illegale Erdbeerplantage. Als Folge veröden ganze Landstriche. Immerhin: Wer mit Hartz IV auskommen muss, kann die Früherdbeeren liegen lassen -und wird mit einem guten Umwelt-Gewissen belohnt. Wenn jetzt noch Geld für ein paar Kisten Krombacher übrig wäre, könnten wir den Regenwald auch noch retten.
Wer mit dem Geld auskommen will, der muss vor allem eins: Preise vergleichen. Besonders günstig sind Kartoffeln und Zwiebeln im Preis-Leistungs-Verhältnis: Nach einer Woche Hartz IV hängen mir Bratkartoffeln zum Hals heraus.
Das Interesse an der Aktion der Diakonie Hannover ist "wahnsinnig hoch"" erklärt Pressesprecherin Isabel Martin. Rund 70 Medienvertreter haben nachgefragt, vom Hörfunk über die Printmedien bis hin zum Fernsehen. Landesweit beteiligen sich 220 Haushalte mit 440 Personen. Bei ihr hätten sich übrigens viele Hartz-IV-Empfänger gemeldet, mit teils zustimmenden, teils ablehnenden Kommentaren. Während die einen es gut fänden, dass auf Hartz-IV-Schicksale hingewiesen wird, hätten sich andere empört: Das sei kein Spiel, sondern für sie tägliche Realität.
Angst, dass viele Teilnehmer am Schluss bemerken werden, mit dem Geld von Hartz IV leben zu können, hat Martin nicht: Es wird einige geben, aber die Mehrheit wird es nicht schaffen, ist ihre Einschätzung. "Uns geht es darum, für das Thema zu sensibilisieren, Vorurteile abzubauen und die politische Debatte wieder anzustoßen."
Martin Barwich, als Sozialarbeiter der Diakonie Rinteln zuständig für die Aktion, sieht es so: "Viele Menschen denken: Das muss doch mit dem Geld von Hartz IV zu machen sein." Menschen mit Job, wohlgemerkt. Rückmeldungen der Teilnehmer hat er noch nicht, aber heute Abend ist um 19 Uhr im Haus der Diakonie in Rinteln, Bäckerstraße 8, das erste Treffen der insgesamt 18 Teilnehmer der hiesigen Aktion.
Als ich im Supermarkt an der Kasse warten muss, steht neben mir die Frau vom Paprika-Stand. Sie weiß einen Witz, den ich hiermit weitererzähle. Der Witz klingt wie die verwitterte Grabinschrift einer fast vergessenen Parallelwelt.
Also: In der Grundschule fragt der Lehrer nach den Hobbys der Väter. Der Vater von Stefan spielt Fußball, der von Holger trainiert für den Marathonlauf. Nur Fritzchen ist auffallend still. Als der Lehrer ihn fragt, sagt er: "Mein Vater strippt nebenbei in einer Schwulenbar." Na ja, warum nicht, denkt der Lehrer.
Nach der Stunde geht er zu Fritzchen und fragt nach: "Strippt dein Vater wirklich in einer Schwulenbar?" "Nein", sagt Fritzchen, "er ist Unterbezirksvorsitzender der SPD. Aber das war mir wirklich zu peinlich."