Landgericht: Immer mehr Marihuana-Prozesse / Landeskriminalamt: Zahl der Anbau-Plantagen in Niedersachsen steigt
Einst Gesellschaftsflucht, heute Dauerbedröhntsein
Auetal/Landkreis.
Ein nettes Gerücht, das natürlich niemand bestätigen will, besagt, dass Drogenkuriere, die von Holland in Richtung Berlin unterwegs sind und beim Grenzübertritt schon als solche erkannt werden, freie Fahrt genießen. Und zwar bis ins Auetal, wo dann auf einem Autobahnparkplatz der Zugriff erfolgt. Denn wer im Auetal mit großen Mengen Marihuana (oder Cannabis) erwischt wird, der kommt in Bückeburg vor Gericht. Und dort ist man durchaus "straffällig", auf milde Strafen darf dort niemand hoffen.
Autor:
Frank Westermann
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Der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft in Bückeburg seit einiger Zeit härtere Strafen beantragen und das Landgericht diese dann auch verhängen würde, der sei sicherlich nicht ganz falsch, erklärt Klaus-Jochen Schmidt, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft und zugleich der in der Residenzstadt für Drogen zuständige Staatsanwalt. Es sei für eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht immer eine Frage der Priorität, wie man Drogenvergehen einordnet und wie man der lokalen Drogenszene, vor allem eben Cannabis, entgegentrete: "Und in Bückeburg genießt es eine hohe Priorität." Dabei sei es - im Vergleich zu Hannover etwa - deutlich schwerer, einen Einblick in die Szene zu bekommen: "In Hannover istes eine offene Drogenszene, hier ist es eine geschlossene", erklärt Schmidt. Nur mit harter Ermittlungsarbeit seien Ergebnisse zu erzielen. Schmidt: Es solle sich ruhig herumsprechen, dass im Landkreis mit harten Strafen zu rechnen sei.
Cannabis, erklärt Detlef Ehricke vom Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA), sei schon lange nicht mehr der Ausdruck eines Protestes gegen die Leistungsgesellschaft. Die Hippie-Attitüde habe längst einem "reinen Dauerbedröhntsein" weichen müssen. Ehricke kann dabei auf die Zahlen verweisen. Fast zwei Drittelaller Rauschgiftdelikte hatten 2004 mit Cannabis zu tun, jeder fünfte Jugendliche unter 18 Jahren hat bereits einschlägige Kiffer-Erfahrungen.
Lag 1989 der THC-Gehalt in Marihuana-Pflanzen bei 76 Prozent aller Proben noch bei unter zehn Prozent und der Spitzenwert bei 17 Prozent, so hatte sich die Lage 15 Jahre später dramatisch verändert: 45,6 Prozent aller untersuchten Marihuana-Proben wiesen 2004 einen THC-Gehalt von 10 bis 20 Prozent aus: Der THC-Gehalt, der durch die Anbaubedingungen und die genetischen Bestandteile der Pflanze bestimmt wird, hat sich in knapp 15 Jahren verdoppelt; ein nicht zu übersehender Hinweis auf die stetig steigende Professionalisierung der Züchter. Der Jahresbericht des Landeskriminalamtes verweist auch auf eine seit 2003 steigende und ebenso alarmierende Tendenz: Immer mehr Cannabis wird in Niedersachsen selber unter professionellen Bedingungen gezüchtet, die Zahl der Kurier-Fahrten nach Holland oder in die Schweiz könnte künftig abnehmen, ohne dass es an Nachschub mangelt. 21 Fälle von illegalen Anbau, der für den Handel im größeren Maße bestimmt gewesen sei, habe man 2005 in Niedersachsen festgestellt, erklärt Ehricke - deutlich mehr als früher.
An Nachschub bei den Strafverfahren mangelt es auch dem Bückeburger Landgericht nicht. "Sehr stark" sei die Zahl im letzten Jahr gestiegen, erklärt Richter Börries Freiherr von Hammerstein, vor dessen 1. Großer Landgerichts-Strafkammer die Cannabis-Händler, -Kuriere und -Konsumenten sich zu verantworten haben. In den letzten Prozessen hatte von Hammerstein recht drakonische Strafen verhängt: Dreieinhalb Jahre Haft für einen polnischen Kurier, der im Auetal mit 3,4 Kilo Marihuana verhaftet worden war, die gleiche Strafe gab es für einen 30-jährigen Bückeburger, der mit 2100 Gramm Marihuana und 1000 Gramm Haschisch geschnappt wurde. Auch von Hammerstein unterstrich, dass von diesen hohen Strafen durchaus eine Signalwirkung ausgehen solle.
Der Gesetzgeber habe den Gerichten durchaus eine Anzahl von Paragraphen zur Hand gegeben, mit denen recht differenziert geurteilt werden könne, erklärte von Hammerstein. So sehe Paragraph 30 eine Strafe nicht unter fünf Jahren für denjenigen vor, der illegale Betäubungsmittel anbaue, herstelle oder als Mitglied einer Bande mit ihnen handle. Eine Milderung der Strafe gebe es, wenn es sich bei den Angeklagten um Abhängige handle,die mit dem Handel vor allem ihren eigenen Konsum finanzieren würden. Und: Milde könne ein Gericht auch walten lassen, wenn der Angeklagte sich "offenbare", also über Hintermänner und Verkaufsstrukturen auspacke - eine Strategie, die gerade bei geschlossenen Drogenszenen des Öfteren zu neuen Erkenntnissen und zum Zugriffserfolg führt.
Übrigens: Wer in Bückeburg verurteilt wird und als Kurier oder Händler längere Zeit ausfällt, nimmt nach der Haftentlassung meistens schon aus einem Grund Abstand von einer Wiederholungsfahrt über die niederländische Grenze: Sein für die Straftat eingesetztes Auto wurde beim ersten Mal eingezogen. Das behält dann einfach der Staat.