Der „Farnesische Stier“ – ein Kunstwerk von Adrian de Fries geistert durch die heimische Geschichte
Die wundersame Reise eines Stiers
Beim 900-Jahr-Jubiläum Schaumburgs dreht sich in diesen Tagen (fast) alles um Fürst Ernst. Zu dessen größten Leistungen zählt die Förderung von Kunst und Kultur. Ohne ihn würde es eine ganze Reihe der kostbarsten Bauwerke und Kunstschätze hierzulande nicht geben. Als besondere Highlights dürfen die Plastiken des gebürtigen Holländers Adrian de Vries (1545-1626) gelten, darunter die Auferstehungsgruppe im Mausoleum zu Stadthagen und das Taufbecken in der Bückeburger Stadtkirche. Zumindest als Kopien sind dem Schaumburger Land auch die beiden Skulpturen „Venus und Adonis“ und „Der Raub der Proserpina“ auf der Bückeburger Schlossbrücke erhalten geblieben. Die Originale wurden bekanntlich 1935 an das Berliner Bode-Museum verkauft.
Autor:
Wilhelm Gerntrup
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Beim 900-Jahr-Jubiläum Schaumburgs dreht sich in diesen Tagen (fast) alles um Fürst Ernst. Zu dessen größten Leistungen zählt die Förderung von Kunst und Kultur. Ohne ihn würde es eine ganze Reihe der kostbarsten Bauwerke und Kunstschätze hierzulande nicht geben. Als besondere Highlights dürfen die Plastiken des gebürtigen Holländers Adrian de Vries (1545-1626) gelten, darunter die Auferstehungsgruppe im Mausoleum zu Stadthagen und das Taufbecken in der Bückeburger Stadtkirche. Zumindest als Kopien sind dem Schaumburger Land auch die beiden Skulpturen „Venus und Adonis“ und „Der Raub der Proserpina“ auf der Bückeburger Schlossbrücke erhalten geblieben. Die Originale wurden bekanntlich 1935 an das Berliner Bode-Museum verkauft.
Neben den namentlich aufgelisteten Werken hat es in Bückeburg, wie wir heute wissen, eine weitere hochkarätige de-Vries-Arbeit gegeben: den sogenannten „Farnesischen Stier“. Dabei handelt es sich um eine bronzene Figurengruppe, für deren Fertigstellung der Meister nach eigenem Bekunden sechs Jahre gebraucht hat. 1620 bot de Vries den „Toro“ (lat.-ital. Stier, Ochse) dem Schaumburger Landesherrn an. Ernst war damals sein wichtigster Auftraggeber. Angesichts der Größe und Schönheit der Plastik seien 3000 Reichstaler nicht zuviel verlangt, ließ der in Prag lebende Bildhauer den fürstlichen Kunstliebhaber wissen. Unabhängig davon könne er (Ernst) das gute Stück bei Nichtgefallen „mit dem ersten karren“ wieder an ihn (de Vries) zurückschicken.
Lange Zeit war nicht klar, ob Ernst das Angebot angenommen hatte und die Plastik damals tatsächlich nach Bückeburg gelangt war. Die Antwort liefert eine neuere Veröffentlichung des Historikers Dr. Helge Bei der Wieden (s. Quellenhinweis). Der ausgewiesene Ernst-Kenner fand heraus, dass der „Toro“ tatsächlich angekauft und nach dessen Ankunft im Bückeburger Schloss aufgestellt wurde. Rund 30 Jahre später ist er von dort unter fragwürdigen Umständen weggeschafft worden. Bei seiner Spurensuche hat Bei der Wieden nicht nur neue Hinweise auf den Verbleib, sondern auch eine Menge über Aussehen und Vorgeschichte der Skulptur herausbekommen.
5 Bilder
Herzog Friedrich II.
Foto: DIALOG
Danach war die de-Vries-Arbeit eine nahezu originalgetreue Nachbildung einer antiken Marmorfigurengruppe. Diese war 1545 in Rom entdeckt, in den örtlichen Kunsttempel „Palazzo Farnese“ geschafft und schon bald als „Toro Farnese“ („Farnesischer Stier“) weltberühmt geworden. Heute wird die Plastik im Nationalmuseum in Neapel aufbewahrt.
Dargestellt ist ein Ereignis aus der antiken Sagenwelt, nämlich die Rache der Zwillingsbrüder Amphion und Zethos an der gewalttätigen Königin Dirke, Gemahlin des Herrschers Lykos von Theben. Dirke hatte aus Eifersucht die Mutter der beiden Jünglinge gequält. Als diese davon erfuhren, nahmen sie auf schreckliche Weise Rache. Sie fesselten Dirke an einen Stier und ließen sie grausam zu Tode schleifen. Das Kunstwerk hält den Augenblick fest, an dem Dirke an dem Tier festgebunden wird.
Adrian de Fries hatte das antike Marmorstandbild während eines Italien-Aufenthalts studiert. Er beschloss, ein Bronze-Abbild anzufertigen. Es fiel deutlich kleiner und gedrungener, aber auch rundum detailreicher als die Original-Vorlage aus. Sie „sey gemachet in einen Saal oder uff einem Postament, welches könne „umbgedrehet werden“.
Möglicherweise war das der Grund dafür, dass Ernst das gute Stück kaufte und es mitten im damals größten und repräsentativsten Saal des Schlosses aufstellen ließ. In einer zeitgenössischen Beschreibung ist von einem „marmelsteiern tisch in Furst Ernst Stube, woruf der gegossene Ochse stehet“, die Rede.
In dieser Umgebung verweilte der Toro rund 25 Jahre. Dann wurde er weggegeben und weggeschafft. Historischer Hintergrund: 1640 war mit dem 26-jährigen, unverheirateten Graf Otto V., einem Neffen Ernsts, die schaumburgisch-holsteinische Grafendynastie ausgestorben. Sofort entbrannte ein erbitterter Nachfolgestreit. Eine Schlüsselrolle bei dem Gerangel um das herrenlos gewordene Territorium spielte die im Bückeburger Schloss lebende Mutter Ottos, eine geborene Prinzessin zur Lippe mit Namen Elisabeth. Sie schaffte es, einen Teil der Grafschaft mit den Ämtern Bückeburg, Arensburg, Stadthagen, Hagenburg und (teilweise) Sachsenhagen für sich und ihren jüngsten Bruder Philipp zu retten. Es war der Beginn des später eigenständigen Herrschaftsbereichs Schaumburg-Lippe.
Weitere Hinweise auf den „Toro“ hat Bei der Wieden in einem bisher unbekannten, 1668 abgefassten Archiv-Schriftstück entdeckt. Danach hat Elisabeth vor Ihrem Tode einige „schone Italienische sachen“ aus dem Bückeburger Schloss verschenkt, darunter einen „von Meßingen (Messing) goßenen Ochsen“. Als neue Besitzerin wird die Gräfin zu Mansfeld genannt – eine ebenfalls aus dem Hause Lippe stammende und total verarmte und hoch verschuldete Nichte Elisabeths. Die so großzügig Beschenkte habe, um an Geld zu kommen, den Stier auf eine Auktion in Amsterdam gegeben. Mit ihrem Vorhaben, 3000 Reichstaler zu erzielen, habe es jedoch nicht geklappt.
Mit den Hinweisen aus dem Jahre 1668 verliert sich – zumindest hierzulande – die Spur. Man braucht jedoch nicht viel Spürsinn und/oder Fantasie, um den Fortgang der Geschichte und den heutigen Aufenthalt des Kunstwerks herauszufinden: Ab Ende des 17. Jahrhunderts kaufte der Prunk liebende und als Warlord reich gewordene Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg zur Ausstattung seiner Gothaer Residenz Friedenstein eine große Zahl prachtvoller Kunstschätze zusammen. Ein Prunkstück der weit über Thüringen hinaus bekannten Sammlung ist – man ahnt es – der Farnesische Stier.
Die antike Sage von der grausamen Bestrafung Dirkes durch die Brüder Amphion und Zethos war nicht nur für Bildhauer ein beliebtes Thema. Hier eine erhalten gebliebene Wandmalerei aus einem Haus im antiken Pompeji.