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Hungerwinter 1947 / Folge 2: Wie dasÜberleben zu organisieren war

"Begegnung mit dem Feind" bei Hamstertour nach Todenmann

Rinteln. Regelmäßig auf Hamstertour ging die damals nicht einmal schulpflichtige Inge (heute Böhm) mit der drei Jahre älteren Schwester Christa und ihrer Mutter Luise Wehmeier. Die Familie wohnte damals in der Rintelner Nordstadt-Siedlung "Auf der Höhe" und so lag es nahe, sich an einen Landwirt im benachbarten Todenmann zu wenden: "So nach und nach wanderten dort Tischdecken, die Aussteuer-Wäsche meiner Mutter sowie die Silberbesteck-Teile hin und im Gegenzug erhielten wir von dem Bauern Speck, Eier oder Milch - man hätte sonst nicht überleben können. "

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Zwar war Vater August Wehmeier zwischenzeitlich aus der norwegischen Kriegsgefangenschaft zurückgekommen, aber auch für geleistete Arbeit bei der Post gab es damals allenfalls kargen Lohn - und ohne die raren Marken war im so genannten Hungerwinter 1946/47 sowieso nichts zu machen. "Uns ging es durch das Leben im ländlichen Raum ja immerhin noch sehr viel besser als den vielen tausend Großstädtern, die erst noch stundenlange Fahrten in völlig überfüllten Zügen bewältigen mussten, bevor sie ihre Habe aus dem Rucksack gegen Kartoffeln oder Fett eintauschen konnten." Auf einer solchen Hamstertour im Nachbardorf erlebte die kleine Inge ein ganz besonderes Abenteuer: Die unmittelbare Begegnung mit dem Feind - in Gestalt eines hohen Offiziers, der beim British Military Hospital tätig war und plötzlich mit seiner Kamera vor dem doch so harmlosen Schwarzmarkt-Trio, bestehend aus der Mutter und ihren beiden Töchtern auftauchte. "Er bat meine Mutter, ein Foto von mir aufnehmen zu dürfen - sein Versprechen, uns davon einen Abzug zu schicken, hat er dann sogar eingehalten." Was mag den britischen Offizier dazu bewogen haben? Vielleicht war es die Erinnerung an die eigenen Kinder daheim, vielleicht auch der Wunsch des Chronisten, dieses damals wohl typische Bild eines deutschen Kindes der Nachkriegszeit festzuhalten: "Damals liefen viele Kinder mit solchen Tragebeuteln herum, weil man natürlich zugreifen musste, wenn es irgendwo etwas Essbares gab." Und typisch war wohl auch die Kleidung, in die von der Mutter damals so viel Arbeit gesteckt werden musste: "Damit ichüberhaupt so eine warme Strickjacke bekommen konnte, mussten zuvor andere Wollsachen aufgeribbelt werden, denn auch an den Kauf von Wolle war natürlich kaum zu denken." Immerhin ist es der Fotoleidenschaft dieses Briten zu verdanken, dass dieses Bild uns heute einen Eindruck von der Hamsterzeit des Hungerwinters in Rinteln verschaffen kann - "dass ich dabei so scheu an der Kamera vorbeischaue, zeigt heute noch, wie mulmig mir bei dieser Begegnung mit einem sozusagen feindlichen Soldaten zumute war", erinnert sich Frau Böhm an die damalige Situation.




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