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Auch der Alltag ist heilig

Gottesdienst im Bückeburger Gefängnis: Die Inhaftierten, die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Gefährdetenhilfe Bad Eilsen und ich waren gut ins Gespräch gekommen. Es ging um die eigene Motivation, auf gute Absichten auch gute Taten folgen zu lassen, anders gesagt um das Thema: Sich-nicht-hängen-lassen. Da sprachplötzlich ein Inhaftierter einen der Mitarbeiter an, wie denn der Aufdruck auf seinem T-Shirt zu den in der Runde geäußerten gut gemeinten Gedanken passe. Auf dem T-Shirt stand: "Chillen pur". Alle mussten lachen und merkten: Der Frager hatte mit seiner Beobachtung den Punkt getroffen.

Autor:

Reinhard Koller
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Aber was heißt "chillen"? Der Ausdruck kommt aus dem Englischen und bedeutet "kühlen", im amerikanischen Slang auch "sich beruhigen, entspannen, rumhängen, abhängen". In der Jugendszene wird er überwiegend als "abhängen, abregen, relaxen" verstanden. Jeder kennt das als etwas Normales. Wäre da nicht derBeigeschmack einer motivationslosen, gleichgültigen Passivität. Der Ausdruck "Abhängen" gerät in die Nähe zum geist- und kreativlosen Abschalten. Nun will ich nicht übertreiben. Jugendliche sind schließlich nicht einfach in diese Schublade zu stecken und wir alle brauchen manchmal eine "Abschaltphase" im Alltag. Was braucht der Mensch? Der Inhaftierte im Gottesdienst hat es wohl begriffen, vielleicht gerade wegen des T-Shirts - wenn Leben mehr ist als eine Abfolge von Essen, Trinken, Ausgeruhtsein, Arbeitskraft einsetzen, Geld verdienen und wieder ausruhen, dann ist selbst ein T-Shirt mit "Chillen pur" unpassend. Chillen passt gerade in eine dumpfe Mentalität der lustlosen Gesellschaft, in der man mehr klagt als dass man kreativ wird, in der das eigene Ego lieber abhängen will, um Unangenehmes zu verdrängen, statt mühsame und anstrengende Herausforderungen sinnvoll anzupacken. Auch eine Art "Gefängnis". Jetzt geht allmählich und hoffentlich nicht zu schnell der Sommer zu Ende und damit für viele auch Familienurlaub und Schulferien. Der Alltag hat einen schnell wieder, allgemeines Klagen droht dem schönen Lebensgefühl der Ferien den Garaus machen zu wollen. Was wäre, wenn der Arbeitsdruck und die Herausforderungen aus dem inneren Feindbild verschwinden würden? Was wäre, wenn uns das Leben und sein Sinn - auch der Alltag - als etwas Heiliges erscheinen würde? Ich denke, wir würden auf erstaunliche viele gute Ideen kommen. Reinhard Koller ist Pastor in Engern.




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